Herzlich willkommen, liebe Leserinnen und Leser, zu diesem faszinierenden Interview mit Martin Andree, Autor des kürzlich veröffentlichten Buches „Big Tech muss Weg“. Wir haben die Gelegenheit, mit Herrn Andree über seine Erkenntnisse und Ansichten zu sprechen, die er im Rahmen seines Buches über die Rolle der großen Technologiekonzerne in unserer Gesellschaft zusammengetragen hat. In einer Zeit, in der die Macht und Einflussnahme der Tech-Riesen immer präsenter werden, ist es von besonderem Interesse, die Einblicke eines Experten zu erhalten, der tief in die Strukturen und Mechanismen dieser Unternehmen eingetaucht ist.
Im Verlauf dieses Interviews stellt Herr Andree klar, dass seine Bedenken über die Auswirkungen von Big Tech auf unsere Welt nicht einfach in den üblichen Diskussionen über die digitale Landschaft verschwinden sollten. Vielmehr betrachtet er die zunehmende Machtakkumulation dieser Technologiegiganten als eine fundamentale Bedrohung für unsere Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Auswirkungen ihrer Monopole reichen von der Beeinflussung des Mediensystems bis zur Unterdrückung kritischer Forschung und Informationen.
Herr Andree geht auf die verschiedenen Strategien ein, die von den Big Tech-Konzernen eingesetzt werden, um ihre Dominanz weiter auszubauen, und erläutert, warum es dringend notwendig ist, faireren Wettbewerb in den digitalen Märkten zu ermöglichen. Er macht deutlich, dass die Herausforderung nicht nur darin besteht, die Konzerne zu regulieren, sondern vielmehr darin, die Märkte wieder für Innovation und Wettbewerb zu öffnen.
Wir tauchen in dieses fesselnde Gespräch ein, um ein tieferes Verständnis für die Bedrohungen und Chancen zu gewinnen, die die Präsenz von Big Tech für unsere Gesellschaft mit sich bringt. Herr Andree teilt seine Erkenntnisse über die Beeinflussung der Medienlandschaft, den Umgang mit Daten und Informationen sowie die möglichen Schritte, die wir als Gesellschaft unternehmen können, um die digitale Selbstbestimmung zurückzugewinnen.
Wir sind dankbar für die Gelegenheit, mit Herrn Andree über seine Sichtweise zu sprechen, und hoffen, dass diese Diskussion dazu beitragen wird, ein Bewusstsein für die Herausforderungen zu schaffen, die vor uns liegen. Lassen Sie uns gemeinsam in den Dialog eintreten und uns mit den Implikationen der Macht von Big Tech auseinandersetzen, um eine informierte und aufgeklärte Zukunft zu gestalten.
Interview mit Martin Andree über sein aktuelles Buch „Big Tech muss weg“
Das Interview wurde von Charly Suter, Inhaber von KMU Digitalisierung und Vorstand von Business3plus geführt. Herzlich willkommen Herr Andree und danke, dass Sie sich Zeit nehmen für unser Gespräch. Sie haben das Buch Big Tech muss Weg geschrieben, dass vor wenigen Tagen erschienen ist. Ich kann mir Vorstellen, dass Sie aktuell sehr viele Anfragen haben für solche Gespräche. Umso mehr schätzen wir es, dass Sie uns heute zur Verfügung stehen.
- Suter: Als erstes möchte ich von Ihnen wissen, wenn meinen Sie mit Big Tech? Muss ich befürchten, dass sie unsere Business3.plus-Webseite abschalten möchten?
Andree: Mit Big Tech sind vor allem die großen fünf Digitalkonzerne gemeint, die auch als „GAFAM“ (Google (Alphabet), Apple, Facebook (Meta), Amazon und Microsoft) bezeichnet werden. Die können unsere Webseiten nicht abschalten – das ist aber auch nicht nötig, denn wie unsere Messungen gezeigt haben, ist der Rest des Internets jenseits den Plattformen der Tech-Riesen weitgehend leer von Traffic. Es ist ein riesiger Friedhof.
- Geht von den grossen Konzernen wirklich eine Gefahr aus? Nehmen wir Twitter – die haben ja wortwörtlich den Vogel selber abgeschossen. Oder Facebook, dies sind gross, aber deren Nutzung geht zurück und die Jungen haben Facebook den Rücken gekehrt. Sprich der Markt und die Kunden regeln es mit der Zeit und Konzerne die zu gross werden Verschwinden, Monopole bleiben zwar vielleicht – aber der Markt ist weg. Somit besteht kein Grund zur Sorge, oder?
Das ist nun so ähnlich, als würden wir fragen: „Letzte Woche war’s doch kühl, den Klimawandel gibt es nicht, somit besteht kein Grund zur Sorge, oder?“ Unsere Messungen haben die gesamte digitale Nutzung auf allen Endgeräten vermessen, die Ergebnisse sind eindeutig und belastbar. Schauen Sie sich einmal die im Buch grafisch dargestellte Verteilung des gesamtdeutschen Traffics an und zeigen Sie mir da gern mal, wo Sie den Wettbewerb erkennen können, denn auch mit einer sehr starken Lupe finde ich ihn nirgends. Die Marktmechanismen werden von Big Tech durch Netzwerkeffekte und Mechanismen der Selbstbevorteilung systematisch ausgeschaltet. Deswegen regelt der Markt in den allermeisten digitalen Kategorien schon lange gar nichts mehr. Hier einzelne Ausnahmen als Argument zu nutzen, wäre so, als würde man sagen: Helmut Schmidt wurde steinalt, also kann Rauchen auch nicht gesundheitsschädlich sein. Es ist extrem wichtig, dass Entscheider das genau verstehen. Denn die in Befragungen gezeigte Vielfalt existiert in der Realnutzung nicht. Das kann man nur durch sehr teure Realnutzungsmessungen herausfinden. Deswegen ist die Gefahr groß, dass man in die Irre geführt wird – vor allem kleinere Unternehmen oder der Mittelstand, die dann blauäugig an digitale Projekte investieren, ohne zu verstehen, dass sie in vielen Fällen gegen diese Übermacht nicht die geringste Chance haben.
Exkurs:
Im Buch Big Tech muss Weg, zeigt Andree auf was die Effekte und Wirkung von Boykotten in den Social Medias bewirken. Kurz: neben einem Medialen Hype gibt es keinen Effekt bei den Nutzern.
- In Ihrem Buch sprechen Sie über die feindliche Übernahme der Gesellschaft durch Big Tech. Könnten Sie erläutern, wie diese Übermacht der Digitalkonzerne die gesamte Gesellschaft beeinflusst und welche Auswirkungen dies auf die Demokratie hat?
Die Monopole der Plattformen besetzen den gesamtem Sales Funnel, über den die Transaktionen der zukünftigen Wirtschaft laufen werden. Deshalb können sie in Zukunft nach Belieben Wertschöpfung aus unserer Volkswirtschaft absaugen – diese wird dabei zunehmend in eine reine Beschaffungsmaschine von Big Tech transformiert werden. Kleinere Wettbewerber haben hier keinerlei Chance, denn Big Tech gehört der digitale Maschinenraum. Und zusätzlich besitzt Big Tech die Plattformen, welche die politische Öffentlichkeit der Zukunft darstellt.
- Eines der Hauptprobleme, die Sie ansprechen, ist die drohende Übernahme unseres Mediensystems durch die Digitalkonzerne. Was könnten Ihrer Meinung nach wirksame Massnahmen sein, um diese Entwicklung zu stoppen und die Medienlandschaft wieder pluralistischer zu gestalten?
Die Übernahme des Mediensystems erfolgt durch die systematische Ausschaltung von Wettbewerb, weswegen die Publisher unter die Räder kommen. Wenn wir Wettbewerb wieder herstellen, könnten die Medienhäuser mit den Plattformen konkurrieren. Es wäre einfach, diese Situation zu ändern – etwa durch die Abtrennung von Übertragungswegen und Inhalten, durch die Öffnung der Plattformen für Outlinks, durch das Verbot von Praktiken der Selbstbevorteilung, durch Interoperabilität und so fort. Wir sind selbst schuld, weil wir das Netz falsch regulieren – bildlich gesprochen geben wir das ganze Wasser den Tech Riesen und der Rest der Welt verdurstet.
- In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Big Tech missliebige Forschung abschaltet. Könnten Sie uns konkrete Beispiele dafür nennen, wie digitale Konzerne versuchen, die Veröffentlichung von kritischen Informationen zu unterdrücken?
Entweder verklagen die Digitalkonzerne einzelne Forscher oder Institutionen – wie etwa gerade Elon Musk das CCDH (Center for Countering Digital Hate). Sie schicken einschüchternde Unterlassungserklärungen, wie Meta an zwei Wissenschaftler der New York University. Oder sie drohen mit Klagen, wie Meta etwa bei AlgorithmWatch, bis die eingeschücherten Forscher aufgeben, weil sie Angst haben, sich mit milliardenschweren Konzernen anzulegen. Ich habe auch einen Fall aufdecken können, in dem ein Digitalkonzern eine Redaktion erpresst hat, um die Publikation missliebiger Informationen zu stoppen. Sie agieren konsistent demokratiefeindlich und nutzen skrupellos alle Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen. Wissenschaftler oder Journalisten haben gegen diese Übermacht keine Chance.
- Sie erwähnen, dass die Tech-Riesen ihre Monopole ausweiten. Welche Strategien setzen sie ein, um ihre Marktmacht weiter zu vergrößern, und welche Auswirkungen hat dies auf den fairen und freien Wettbewerb?
Sie setzen etwa ein Dutzend Techniken ein – wie etwa Netzwerkeffekte, die Abschaffung von offenen Standards. Sie entwickeln Methoden, um die Nutzer auf den Plattformen quasi einzumauern, wie etwa die Abschaffung von Outlinks sowie die algorithmische Herunterregelung von Posts mit Outlinks, was zur gegenwärtligen Krise des Content Marketing geführt hat. Einige Methoden sind schlicht kriminell, wie etwa die systematische Selbstzuteilung von Traffic innerhalb ihrer Ökosysteme. Auch diese Methoden konnten wir durch unsere Messungen im Detail nachweisen.
- In „Big Tech muss Weg“ betonen Sie, dass es nicht nur um die üblichen Kritikpunkte an der digitalen Welt geht, sondern vielmehr um das fundamentale Problem der Machtakkumulation durch die Tech-Riesen. Wie können wir als Gesellschaft diesem Problem effektiv begegnen?
Wir sind eine freie, auf Marktwirtschaft basierte Gesellschaft, haben es aber zugelassen, dass fairer Wettbewerb ausgerechnet auf dem Zukunftsfeld der digitalen Wirtschaft vollständig abgeschafft wurde. Das trifft alle gleichermaßen: Die Medien, die Blogger, die Creatoren, die Konzerne, die kleinen Unternehmen, den Mittelstand, die Start-Ups. Dabei wäre es eine Sache von wenigen Monaten, Wettbewerb wieder herzustellen. Wir sollten das genauso tun, wie wir in der Vergangenheit ebenfalls etwa die Luftfahrt, die Telekommunikation, den Strommarkt oder die Paketdienste liberalisiert haben. Wir müssen einfach die digitalen Märkte wieder für Wettbewerb öffnen.
- Sie setzen sich für eine Befreiung des Internets von der Herrschaft der Digitalkonzerne ein. Welche konkreten Schritte und politischen Maßnahmen könnten dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen? Was können wir als Unternehmer oder Privatperson tun?
Als private Nutzer können wir nicht viel tun – denn die digitalen Medien sind die Medien unserer Zeit. Sie können ebenso wenig von den Menschen erwarten, sich alternative Buchstaben auszudenken oder ein eigenes Telefonnetz aufzubauen. Deshalb kann die Lösung nur durch die Wiederherstellung von Wettbewerb erfolgen. Ich schlage dafür im Buch 15 Maßnahmen vor – einige habe ich hier ja schon genannt.
- Als Medienforscher haben Sie ein besonderes Interesse an digitalen Themen. Inwiefern hat Ihr persönliches Erlebnis mit der Macht von Big Tech Ihr Engagement und Ihre Arbeit beeinflusst?
Solche Erfahrungen sind persönlich ziemlich unangenehm, man schläft viele Nächte schlecht, das ist sicherlich sehr prägend. Sie haben mir gezeigt, dass die von uns gemessene Übermacht kein theoretisches Konstrukt ist. Sie ist eine reale, demokratiefeindliche Macht, die skrupellos eingesetzt wird, um die Interessen von Big Tech gegen jeden Widerstand durchzusetzen.
- Sie betonen die Bedeutung einer breiten öffentlichen Erkenntnis über die Machtakkumulation der Tech-Riesen. Wie können wir als Gesellschaft eine solche Bewusstseinsbildung fördern und dafür sorgen, dass mehr Menschen sich mit diesem Thema auseinandersetzen? Mir scheint es, aktuell interessiert das Thema die breite Gesellschaft nicht.
Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Manchmal halte ich Vorträge zum Thema, und danach höre ich von Experten in der Kaffeepause: „Martin, was regst du dich so auf, es ist doch sowieso schon längst zu spät, der Zug ist eh schon abgefahren.“ Was dann aber bedeuten würde: Wir haben unsere Demokratie und unsere freie Wirtschaft schon aufgegeben. Ich kann es tatsächlich selbst nicht begreifen, wieso wir als Gesellschaft nicht erkennen, wie groß das Problem ist.
- Wie beurteilen Sie den Umgang von Konzernen wie Microsoft mit Daten und Informationen, welche Sie aus Ihren Aktivitäten wie LinkedIn, MS Dynamics, Teams und weiteren Tools generieren und teils intern nutzen? Können und sollen Unternehmen, KMU, Behörden und Schulen noch auf solche Unternehmen und Ihre Technologien setzen?
Noch schlimmer ist, dass unsere westlichen Regierungen ihre Daten in den Ökosystemen derselben Tech-Riesen speichern, und dass sie vollständig abhängig von Big Tech auf dem Feld der Cybersecurity sind. Das sind übrigens dieselben Medienkonzerne, die auch in Zukunft unsere politische Öffentlichkeit kontrollieren werden – von denen unsere Regierungen abhängig sind! Das Prinzip der Staatsferne, das bei den analogen Medien immer so wichtig war, scheint uns hier völlig gleichgültig geworden zu sein. Man mag sich die Haare raufen.
- Zum Abschluss Ihres Buches widmen Sie es Ihren Kindern und wünschen sich eine freie Mediendemokratie für sie. Welche Vision haben Sie für die Zukunft des Internets und wie können wir gemeinsam daran arbeiten, diese Vision zu verwirklichen?
Ich würde meinen Kindern wünschen, dass auch sie in einer freien Demokratie leben werden. Aber leider stehen die Zeichen schlecht. Es wird nur noch wenige Jahre dauern, dann hat Big Tech einen so starken Durchgriff auf unsere politische Öffentlichkeit, dass der Prozess unumkehrbar sein wird. Wir können das nur ändern, wenn wir sagen: Uns reicht’s! Wir müssen die überholten, verkrusteten Strukturen aus Plattform-Privilegierung, Protektion, Selbstbevorteilung und einer völlig fehlgeleiteten Regulierung abschaffen. Wir könnten leicht eine neue, liberale und wirklich digitale Ordnung im Netz schaffen. Es gibt keinen Grund, die digitale Selbstbedienung von Big Tech noch einen einzigen Tag weiter künstlich am Leben zu erhalten. Wir sind es selbst schuld. Aktuell müssen wir uns eher fragen: Sind die eigentlich so böse oder wie so doof?
Vielen Dank für Ihre Zeit und die ausführlichen Antwort. Wir schätzen Ihren Perspektive und den Blick hinter die Kulissen von Big Tech sehr. Das Sie sich Zeit genommen haben für diese Unterhaltung wissen dies sehr zu schätzen und freuen uns auf die breite Gesellschaftliche Diskussion, welches Ihre Buch hoffentlich auslöst.
Das Interview ist im Original erschienen beim Blog von KMU Digitalisierung und durfte freundlicherweise hier ebenfalls publiziert werden.
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